Bei der Vorbereitung eines Seminars für ein größeres Maklerunternehmen schaue ich mir gerade die Fotos in den aktuellen Exposés meines Auftraggebers an.
Es fallen dabei in der Immobilienfotografie durchaus verbreitete Phänomene auf: Innenaufnahmen sehen so aus, als ob die Immobilie im Moment des Zusammenfalls fotografiert wurde, bei Außenaufnahmen stürzen die Objekte nach hinten um.
Da sowohl Fotograf und Kamera das Ereignis überlebt zu haben scheinen als auch das Objekt noch immer zum Verkauf angeboten wird, kann es sich nur um eine Täuschung handeln. Diese entsteht, wenn die Kamera während der Aufnahme nicht genau waagerecht gehalten wurde.
Wie kommt es dazu? Viele dieser Bilder wurden offensichtlich aus Augenhöhe geschossen. Bei einer 1,80m großen Person heißt das, dass das Objektiv ca. 1,70m vom Boden und in den meisten Liegenschaften 80-90cm von der Decke entfernt ist. Bei waagerechter Ausrichtung der Kamera bedeutet das wiederum, dass wesentlich mehr Decke als Fußboden auf dem Bild zu sehen ist, was normalerweise nicht gewünscht wird. Intuitiv neigen dann die meisten die Kamera soweit nach unten, bis fast keine Decke aber wesentlich mehr Fußboden auf dem Bild erscheint. Die Folge sind die oben beschriebenen "stürzenden" Linien.
Statt nun die Kamera zu neigen, sollte man die Aufnahmehöhe auf ca. 1,10 - 1,20 senken und die Kamera genau waagerecht halten. Schon sind alle Senkrechten im Raum tatsächlich senkrecht und es ergibt sich ein wesentlich natürlicheres Bild. Über weitere Vorteile dieser Vorgehensweise wurde schon hier geschrieben:
Bei der Außenaufnahme ist es umgekehrt. Der Fotograf möchte:
- die gesamte Immobilie auf das Bild bannen und
- nicht soviel Vordergrund (Straße, Parkplatz etc.) im Foto haben.
Folge: Er neigt die Kamera intuitiv nach oben und sorgt auch hier für "stürzende Linien", die diesmal so aussehen, als ob das Objekt nach hinten fallen würde.
Lösung: Abhängig von Motiv, gewünschtem Bildaufbau und dem Platz nach hinten entfernt sich der Fotograf soweit von seinem Motiv, bis das Objekt auch bei waagerecht gehaltener Kamera komplett auf dem Foto ist. Ist jetzt auf dem Foto unterhalb der Immobilie zuviel Platz, wird dieser in der Nachbearbeitung weggeschnitten.
Zumeist reicht das leider nicht aus. Der Platz vor dem Gebäude ist zu gering, um ein gutes Foto mit waagerecht gehaltener Kamera zu erzielen. Hier muss die Kamera dann so weit wie notwendig nach oben geneigt werden. In der Nachbearbeitung werden dann die Senkrechten senkrecht "gezogen". Dies kann je nach Programm (halb-)automatisch oder aber manuell erfolgen. In den allermeisten Fällen ist es so möglich, den Eindruck, hier soll eine einstürzende Immobilie verkauft werden, zu vermeiden. Zusätzlich kann man die Aufnahmeposition nach oben verschieben, indem man z.B. die Kamera mit Stativ hoch hält. Mehr dazu hier:
Ruhig mal in die Luft gehen
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass man dem Problem auch mit Spezialobjektiven ("Tilt-Shift") Herr werden kann. Das ist für viele Anwendungen jedoch die berühmte Kanone, mit der auf recht kleine Vögel geschossen wird. Diese Objektive sind nicht ganz billig und der Umgang mit ihnen nicht wirklich einfach.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim "Aufrichten" Ihrer Verkaufsobjekte.
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Michael Doherr (Samstag, 06 Mai 2017 11:14)
Ich möchte den interessanten Beitrag durch einen kleinen Hinweis ergänzen: ohne akrobatische Übungen ist es mit einer Kamera mit ausklappbarem Display leichter, im Raum aus dem Mittelpunkt heraus zu fotografieren, zumal in der Regel eine integrierte Wasserwaage vorhanden ist. Bei Außenaufnahmen hilft es oft, so weit wie möglich über dem Kopf zu fotografieren, um etwas mehr in Richtung Gebäudemitte zu gelangen. Kann man um das Motiv herum genug "Fleisch" lassen, wird die spätere Entfernung der Kameraverzerrung leichter.